Dem “Saison-Auftakt” in Stein am Rhein folgen
nun einige Tagestouren in der Schweiz. So fahren wir unsere üblichen Runden
um den Greifensee oder bis nach Rapperswil, erkunden den Radweg an der
Aare entlang bis Olten und Aarau, und erleben auch noch eine herrliche
Tagestour von Rapperswil durch die Linthebene bis zum Walensee. Das blaue
Schauff läuft mit den neuen Speichen wieder wie neu, aber für eine Reise
mit Gepäck mag ich es jetzt nicht mehr benutzen. Deswegen rüste ich mein
vor zwei Jahren erstandenes Arrow Pacer zum Reiserad um, montiere Gepäckträger
hinten und vorne, ein bequemer Sattel und ein Tourenlenker sollen etwas
mehr Komfort bringen.
Der Mai kommt und im Kalender sehe ich die eingezeichneten Feiertage:
Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Anfang Juni schließlich Fronleichnam.
Da könnte man doch! Da ginge vielleicht! Auf einmal steht der Plan: ich
will mit dem Fahrrad die Strecke von München nach Oberviechtach fahren!
Jahrelang bin ich mit dem Auto hin und her gependelt, kenne die Autobahn,
die Bundesstraßen und die Ortsumgehungen in- und auswendig. Jetzt will
ich diese Strecke mal mit dem Radl auf kleinen Straßen oder Wegen abseits
des Autoverkehrs “erfahren”. Organisatorisch soll es so ablaufen, daß
ich alleine von München nach Oberviechtach fahre, Margrit aber an Fronleichnam
von Zürich aus mit dem Zug nachreist, damit wir ein paar gemeinsame Tage
bei meinen Eltern verbringen können.
In meiner Ungeduld möchte ich natürlich
keinen Augenblick verlieren, deswegen plane ich, am Freitag Nachmittag
direkt nach der Arbeit bis Freising zu radeln, wo ich bei Ingrid und Rainer
übernachten kann. Wie es halt vor Urlaubsbeginn bei mir so ist, kommt
noch dieser und jener Auftrag in der Arbeit dazu, weswegen ich relativ
gestreßt und genervt meine freie Zeit beginne. Schnell ist noch Obst eingekauft,
ein paar Kekse und ein gewisses Kontingent an Taschentüchern - es ist
Heuschnupfenzeit - aber bald sitze ich im Sattel, um mein erstes Etappenziel
anzusteuern. Überflüssig zu erwähnen, daß ich mit dem Wetter wieder mal
das große Los gezogen habe: der Frühsommer zeigt sich von seiner vorteilhaftesten
Seite. Um Pfingsten herum war in Bayern Hochwasser angesagt, sogar unsere
regulierte, handzahme Isar war auf Rekordstand geklettert, ich bin deswegen
gespannt, ob ich den Radweg am Fluß entlang benutzen kann oder auf eine
andere Strecke ausweichen muß. Es geht jedoch ganz gut, nur einmal muß
ich für 50 m absteigen und schieben. Während ich so vor mich hinrolle,
fällt die langsam die hektische Stimmung von mir ab und macht der ReiseStimmung
Platz: Zufriedenheit, Unternehmungslust und Freude.
Die Strecke nach Freising ist nicht gerade
atemberaubend, es geht einfach immer am Isardamm entlang, rechts die Isar,
links Wald oder Gebüsch, aber das interessiert nicht, ich bin, wie gesagt,
froh unterwegs zu sein. Gerade richtig zum Abendessen treffe ich bei meinen
Freunden ein. Wir verbringen den Abend auf der Terasse, unterhalten uns
angeregt bei Wein aus dem Markgräfler Land, während in der Ferne ein Wetterleuchten
die Phantasie anregt.
)
Am Morgen beschließen Ingrid und Rainer,
mich mit den Kindern ein Stück zu begleiten. Nach dem wir fertig sind,
radeln wir also los - ich mit den Packtaschen, die anderen beiden mit
den Kleinen im Kindersitz. Doch schon bald heißt es Abschied nehmen, mein
Begleitschutz muß leider umkehren, wogegen ich der Isar noch ein paar
Kilometer treu bleibe, bis ich mich nach links in die Büsche, bzw. die
Hügel schlage., denn die Holledau ist leider nicht eben. Heute fahre ich
überhaupt die erste richtig hügelige Tagestour mit Gepäck, ich flußradweg-verwöhnter
Mensch betrete also Neuland. Wobei sich die Begeisterung bezüglich des
Bergauftretens schon in Grenzen hält, wenn ich ehrlich bin... Zur Mittagszeit
erreiche ich Nandlstadt und labe mich mit Wurstsalat und Apfelschorle,
bevor ich mich durch die restlichen Hügel bis zum Flüßchen Abens durchkämpfe.
Mit dem Erreichen dieses Flüßchens wird der Weg etwas ebener, er ist sogar
offiziell als “Abens-Radweg” ausgeschildert und ich kann mich wieder etwas
erholen, während der Fahrt eine Banane essen oder vor mich hinträumen.
Mainburg mit seiner sehenswerten Altstadt ist ein guter Kandidat für eine
Eis-Pause. Dort bestimme ich mir dann auch noch mein heutiges Etappenziel
Abensberg, wo ich mir telefonisch gleich mal ein Zimmer reserviere.



Weiter geht’s. Elsendorf, kenne ich vom Autobahnwegweiser
her wie meine Westentasche, doch wer hätte gedacht, daß es hier so lieblich
ist? Das gleiche denke ich auch von Abensberg, als ich abends zu Fuß das
Städchen erkundige. Soviel Mittelalter, und dann noch so gut renoviert!
Ich sitze am Marktplatz beim Abendessen, als ich dieses so vor mich hindenke.
Die steigungsreiche Etappe spüre ich gewaltig in den Beinen, darum halte
ich nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit hier aus, sondern begebe mich
bald in mein Zimmerchen zurück, wo mir ein kleiner Farbfernseher noch
die Zeit vertreiben wird. 40,-- DM zahle ich heute für ein gemütliches
Zimmer in einem Hotel garni, kein Vergleich zu den Absteigen von letztem
Herbst am Bodensee und am Rhein.
Heute ist der Tag der geschenkten Kilometer! Ich sage nur: Rückenwind!
Doch der Tag fängt ganz anders an, denn beim Frühstück ergibt ein Gespräch
mit der Wirtin, daß Kloster Weltenburg immer noch unter Wasser steht,
auch die Zufahrtsstrassen dorthin sind wegen des Hochwassers gesperrt.
Das heißt für mich, daß ich die im Radführer gar nicht empfohlene Umfahrung
der Weltenburger Enge wählen muß. Steigungen und vielbefahrene Landstraße
bedeutet das im Klartext. Aber um halb neun starte ich in den blauen Sommermorgen
hinein und bin so gut gelaunt, daß ich die besagte “böse” Wegstrecke ohne
nennenswerte Schäden an Leib und Seele bald hinter mich bringe. Von Kelheim
sehe ich nicht viel, weil mich die Überlegung in Anspruch nimmt, welcher
Donauseite ich denn nun folge um die hohe Eisenbahnbrücke zu umgehen (siehe
Donauradtour 1994). Auf der Karte ist am linken Ufer ein Feldweg eingezeichnet,
denn ich mir einfach mal vornehme. Kurz nach Kelheim merkt man das Hochwasser
wieder, aber der Radweg ist nicht überflutet, es läßt sich sogar recht
angenehm dahinradeln. Der Feldweg ist dann doch etwas gröber als vermutet,
aber es handelt sich nur um sechs Kilometer. Am Spätvormittag hebt sich
auf einmal ein recht starker Südwind, der mir nicht nur die Pollen in
die Augen sondern auch mich wie ein Segelschiff vor sich hertreibt.
Deswegen ist die Naabmündung bald erreicht.
Vorher werfe ich der hohen Eisenbahnbrücke, die mich vor Jahren geärgert
hat, noch einen bösen Blick zu, in einem Biergarten wird wieder Pause
gemacht, wo sich gerade eine Blaskapelle aufbaut.
Mich stört das jedoch nicht, denn nach kurzer Zeit ist das alles nur mehr
Erinnerung. Die Naabmündung ist erreicht, der Weg schwenkt nach Norden
ab, ruhiger und beschaulicher wird die Landschaft. Der Wind legt sich
mächtig ins Zeug, ich bin ganz erstaunt, daß der Tageskilometerzähler
schon über 50 km zeigt. Als ich mich Kallmünz nähere, versuche ich mir
vorzustellen, wie Kandinsky und Gabriele Münter damals vor dem ersten
Weltkrieg mit dem Fahrrad von Regensbug aus hierher kamen und den ganzen
Sommer in Kallmünz verbrachten. Ob sie wohl von diesen Kalksteinfelsen
aus die oberpfälzer Landschaft malten?

Zusammen mit dem Wind ballen sich nun auch
die Wolken und es schaut hinter meinem Rücken gar nicht gut aus, deswegen
nehme ich mir in Bubach in einem neuen renovierten Landgasthof ein Zimmer.
Es ist zwar erst 15.30, aber ich bin gut vorwärtsgekommen und zufrieden.
Besonders, als ich auf der überdachten Terasse sitzend das Gewitter erlebe,
fühle ich mich rundherum behaglich, um nicht zu sagen: sauwohl!
Das Gewitter hat die Luft gereinigt, der Himmel
ist wieder blau, lediglich der Wind ist geblieben. Wohl wissend, daß meine
heutige Etappe um die Mittagszeit schon zu Ende sein wird, bin ich eher
ein wenig traurig. Ich kann ja auch meinen Gefühlen freien Lauf lassen,
denn treten brauche ich fast nicht, denn der Wind besorgt den Antrieb.
Das Naabtal weitet sich hinter Schwandorf, die Ausläufer des Oberpfälzer
Juras treten zurück, so hat der Wind ein leichtes Spiel. Ich zweige bei
Schwarzenfeld in den Schwarzachtal Radweg ab, folge dem allmählich enger
werdendem Tal, immer noch ohne von Steigungen belästigt zu werden. Dann
muß ich die letzten 20 km auf der Landstraße nach Oberviechtach fahren,
wo dann doch der eine oder andere Hügel auf mich wartet. Kurz nach Mittag
treffe ich schließlich in meiner Heimatstadt ein.


Eigentlich wäre ich gerne noch weitergefahren, aber es ist ja erst Montag
und ich habe noch die ganze Woche vor mir! Deswegen mache ich am Dienstag
gleich eine Tagestour nach Neunburg, um dem Eixendorfer Stausee, Wutzschleife,
Rötz und zurück. Mittwochs fahre ich mit meinen Eltern von Amberg nach
Schmidmühlen und zurück. Am Donnerstag vormittag hole ich Margrit vom
Bahnhof ab, abends machen wir zu zweit noch eine kleine Spritztour, um
das Fahrrad auszuprobieren, daß meine Eltern für sie ausgeliehen haben...Am
Freitag wird das Wetter schlechter, doch wir radeln zu viert den Regen
entlang von Nittenau bis Walderbach. Am Samstag fahren wir einen Rundkurs
um den Murner See und die neu entstandene Seenplatte im ehemaligen Braunkohle-Abbaugebiet
bei Wackersdorf. Am Sonntag bringt uns der Zug nach München zurück. Als
ich so im Zug sitze kann ich noch gar nicht glauben daß die Velo-Woche
schon vorbei ist, aber ich bin rundum satt und glücklich, es war einfach
eine Traumwoche.
Fast 500 km sind zusammen gekommen, es scheint
daß ich in diesem Frühling schon mehr Kilometer gefahren bin als im ganzen
letzten Jahr zusammen. Aber das ist noch nicht alles: der Sommerurlaub
steht im August an. Zwei Wochen Radreise! 14 Tage Velofahren - das muß
man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.



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